Infrastrukturförderung: Lässt sich Populismus wirklich mit Geld bekämpfen? (2024)

Aus der Serie: Plan D

Ja, sagt der Ökonom Robert Gold vom IfW Kiel. Seine neue Studie zeigt: Eine funktionierende Infrastruktur stärkt die Demokratie. Hier erklärt er, wie.

Interview: Carlotta Wald

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Die Menschen in Deutschland klagen über schlechten Nahverkehr und marode Straßen, auch in unserem Projekt Plan D fallen die meisten von Leserinnen und Lesern eingereichten Probleme in die Kategorie Mobilität. Das ist nicht nur unbequem, sondern auch eine Gefahr für unsere Gesellschaft, erklärt der Ökonom Robert Gold im Interview.

ZEIT:Herr Gold, Sie haben am Kiel Institut für Weltwirtschaft gerade eine Studie veröffentlicht, in der Sie feststellen, dass die Förderung von strukturarmen Regionen den Populismus eindämmt. Lässt sich der Populismus wirklich mit Geld bekämpfen?

Gold:Einfach Straßenbahnen und Schwimmbäder zu bauen, wird das Problem nicht lösen. Die Ökonomie ist immer nur ein Teil des Ganzen. Aber wir zeigen in unserer Studie, dass regionale Förderung die Unterstützung populistischer Parteien um durchschnittlich 2,5 Prozentpunkte bei Wahlergebnissen reduziert. Das ist zumindest ein Anfang. Und ein Ergebnis mit direkten Implikationen für die Politik.

ZEIT:Inwiefern?

Gold: Wir haben in der ganzen EU strukturschwache Regionen, die Förderung erhalten haben oder denen Förderung entzogen worden ist, miteinander verglichen und geschaut, welchen Effekt die Finanzierungsspritze auf die Unterstützung populistischer Parteien hat. Dadurch haben wir mit einer nie dagewesenen Datenmenge überprüfen können, welche Rolle regionalpolitische Entwicklungsmaßnahmen tatsächlich spielen. Jetzt wissen wir: Die Unzufriedenheit vieler Menschen mit der Politik lässt nach, wenn sie spüren, dass in die marode Infrastruktur oder die Industrie vor Ort investiert wird. Das gilt EU-weit und entsprechend auch für Deutschland.

ZEIT: Gilt denn Gleiches auch vice versa: Wo Infrastruktur verfällt, steigt die Zustimmung für Rechtspopulisten?

Gold: Ja. Und das ist gerade für Deutschland relevant. Mit der EU-Osterweiterung traten arme Regionen der Europäischen Union bei. Sie erhielten plötzlich Mittel aus dem Fördertopf für regionale Entwicklung, die einst ostdeutschen Regionen zur Verfügung standen. Gerade in den Regionen, denen man die Förderung entzog, stieg die Unterstützung der AfD an. Hinzu kommt: Wenn das Angebot an öffentlichen Gütern verknappt wird, also zum Beispiel lokale Schwimmbäder schließen müssen, reagieren Menschen besonders sensitiv auf den Zuzug von Migranten. In solchen Situationen bekommt Immigration besonders viel Sprengkraft.

ZEIT:Die Bahn plant nach neuesten Informationen zahlreiche Fernverkehrsverbindungen abzuschaffen. Betroffen sind vor allem Orte in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie Mecklenburg-Vorpommern – also Hochburgen der AfD. Wird das die Zustimmungswerte für Rechtspopulisten an diesen Orten dann in die Höhe treiben?

Gold:Das ist eine Maßnahme, die politische Konsequenzen haben kann. Die Idee, hier wirklich die infrastrukturelle Anbindung auszudünnen, kann die politische Frustration, die in diesen Gebieten ohnehin schon herrscht, weiter anspitzen.Es mag ökonomisch sinnvoll sein, diese Schienenstrecken aufzugeben – vermutlich werden sie zu wenig genutzt, als dass es lukrativ wäre, sie aufrechtzuerhalten. Aber in genau diesen Regionen herrscht bereits der Verdacht, dass man von der Politik vernachlässigt wird. Solche Aktionen bestärken dieses Gefühl. Und die politische Kraft der Frustration sollte man nicht unterschätzen.

ZEIT: Woraus besteht dieses Gefühl der Frustration?

Gold: Das lässt sich schwer definieren. Da geht es um ein Stadt-Land-Gefälle, um mangelnde politische Kommunikation. Aber, und das zeigen unsere Daten sehr schön, es geht vor allem auch um das Vertrauen in die politischen Institutionen.Das wächst signifikant, sobald die Infrastruktur ausgebaut, das Schwimmbad renoviert, innovative Industrien gefördert oder Qualifikationsangebote geschaffen werden. Die Leute geben in den Umfragen dann an, der nationalen Regierung und demEU-Parlamentzu vertrauen. Sie haben ein besseres Verhältnis zum Staat, seinen Akteuren und Institutionen.

ZEIT:Nur leider hat unser Staat derzeit keine Spendierhosen an. Wie wirkt man der Demokratiekrise in einer Haushaltskrise entgegen?

Gold:Ich glaube nicht, dass es an Masse fehlt. Man muss die Mittel, die man zur Verfügung hat, effizient nutzen und vor allem gut kommunizieren. Es braucht nicht überall mehr Geld, sondern Projekte, die für die Region sinnvoll sind und den Menschen vor Ort eine Perspektive geben. Und ich glaube, dass es wichtig ist, diese Politiken sichtbarer zu machen. Überall,wo mit EU-Förderungen gebaut wird, werden riesengroße Schilder aufgehängt: Dieses Projekt wird finanziert aus Mitteln der Europäischen Union. Das macht was mit den Menschen. Die merken: Diese EU, die ist vielleicht doch nicht so schlecht, wie die AfD immer propagiert. Der Staat investiert viel mehr, als viele glauben. Es weiß nur niemand, wo ihr Steuergeld hinfließt und wie stark manche Regionen davon bereits profitiert haben. Aber woher sollen sie es auch wissen? Das muss man transparent machen. Es lohnt sich, zu zeigen, wo der Staat investiert.

ZEIT:Und wo er funktioniert.

Gold: Genau. Repräsentative Demokratien müssen responsiv sein. Die Menschen müssen nachvollziehen können, dass die staatlichen Institutionen ihnen persönlich einen Vorteil bringen.

ZEIT:Ist das ein Plädoyer für mehr Regionalpolitik im Allgemeinen?

Gold: Ja, definitiv. Wie wirksam gute oder eben auch schlechte Regionalpolitik ist, konnte man bereits hervorragend am Brexit studieren. Regionalpolitik und -förderung stellt eine stärkere Verbundenheit zwischen der lokalen Bevölkerung und dem politischen System her, die Menschen spüren, dass die eigenen Bedürfnisse wahrgenommen werden. Das wirkt allen populistischen Kampagnen entgegen, die behaupten, der Staat privilegiere den urbanen Raum und vergesse den Rest der Bevölkerung.

Infrastrukturförderung: Lässt sich Populismus wirklich mit Geld bekämpfen? (3)

ZEIT: Es geht ja nicht nur um ein Gefühl. Zwischen und Ost- und Westdeutschland herrscht strukturell nach wievor ein großes Gefälle.

Gold:Das stimmt. Deshalb steht die Verbindung zwischen der Entwicklung einer Region und seiner Förderung im Fokus unserer Forschung. Es geht um die Frage, wie regionalpolitische Maßnahmen diese Ungleichheiten, die sich mehr oder weniger zwingend aus dem ökonomischen Wandel ergeben, abfedern können. Wichtig ist, den Verlust an Entwicklungsperspektiven auszugleichen, sodass die Lebensqualität, egal ob gefühlt oder real, weniger stark leidet, als sie es aktuell in strukturschwachen Regionen tut. Und es geht übrigens nicht darum herauszufinden, wie man die AfD schwächt. Die Leute dürfen und sollen wählen, wen sie wollen. Nur wird es gefährlich, wenn sie den Glauben an das System der Demokratie verlieren.

ZEIT: Konnten Sie feststellen, wen die Menschen wählen, die sich aufgrund von Fördermaßnahmen von der AfD abwenden?

Gold: Die extremistischen Ränder werden zugunsten der Parteien aus der Mitte geschwächt. Oft profitiert die Regierungspartei, weil sie für die zusätzlichen Finanzmittel oder die Zukunftsperspektive, die dadurch einkehrt, verantwortlich ist.

ZEIT: Ließen sich die 2,5 Prozentpunktenochsteigern,wennman unendlich viel Geld zur Verfügunghätte?

Gold: Ganz so einfach ist es nicht. Bevor man jetzt einfach nur mehr Geld draufschmeißt, müsste man genauer verstehen und untersuchen, welche konkreten Maßnahmen eine besonders starke demokratiefördernde Wirkung erzielen. Dazu braucht es mehr Forschung. Wenn man das erst mal weiß, könnte man auch mit ähnlichem Mitteleinsatz noch größere Wirkung erzielen.

ZEIT: Empfehlen Sie das auch der Politik?

Gold: Unbedingt. Wenn ich jetzt in einem Ministerium sitze und mir überlege, welche Förderungen streiche ich – denn die Kassen sind ja leer -, dann würde ich tendenziell erst mal die Förderungen streichen, bei denen das ökonomische Potenzial nicht besonders groß ist. Und das sind häufig Projekte, die das gesellschaftskulturelle Leben betreffen. Brauchen wir wirklich dieses Schwimmbad? Brauchen wir alle Stunde einen Regionalzug? Tut es nicht auch alle fünf Stunden einer? Die Finanz- und Wirtschaftsminister müssen sich trotz der Haushaltskrise im Klaren darüber sein, dass Wählerinnen und Wähler in benachteiligten Regionen sehr sensitiv auf so was reagieren. Irgendeine Subvention abzuschaffen, hat immer Folgen. Das könnte gerade in diesem Wahljahr von Bedeutung sein.

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